Forscher tricksen gefährliches Virus aus

Künstlicher Hemmstoff „made in Marburg“ soll zur Entwicklung eines Ebola-Heilmittels beitragen.

Marburger Virologen um  Professor Stephan Becker  wollen ein Arzneimittel  gegen das lebensgefährliche  Ebolavirus entwickeln. 

Marburg.
Ein künstlich hergestellter  Hemmstoff bremst  die Vermehrung des Ebolavirus.  Er könnte zudem in absehbarer  Zeit die Entwicklung eines Heilmittels  ermöglichen, das gegen  die lebensbedrohliche Ebolaseuche  hilft. Das hofft die dafür  verantwortliche Forschungsgruppe  europäischer Wissenschaftler  unter Beteiligung von  Marburger Virologen. Für den  Marburger Ebola-Forscher Professor  Stephan Becker war der  Ausbruch der Seuche im Jahr  2014 in Westafrika ein bedrückendes  Ereignis. Bei der bisher  weltweit schlimmsten Ebola-Epidemie starben zwischen  2014 und 2016 insgesamt 11 000  Menschen in Afrika.
„Gefühlt war es zunächst einmal  wie eine Niederlage“, erklärt  Becker im Gespräch mit  der OP. „Wir hatten jahrelang  in Sachen Ebolavirus gearbeitet  und wir haben es dann trotzdem  nicht geschafft, den Ausbruch  zu verhindern.“ Die Niederlage  war aber ein Ansporn,  die Forschung zu intensivieren  (siehe Artikel unten).
Jetzt stellen die Forscher ihre  neuesten Arbeiten vor. Dabei  wurde das Virus daran gehindert,  ein Enzym der befallenen  Zellen für eigene Zwecke zu  benutzen. Das Team berichtete  in Fachmagazinen über die Ergebnisse. 

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Das wahrscheinlich von Fledermäusen  auf Menschen übertragene  Ebolavirus löst eine lebensbedrohliche  Fiebererkrankung  aus, die meist zum Tode  führt (siehe HINTERGRUND).  „Bislang gibt es kein Heilmittel  gegen den Erreger“, betont Becker. 
In einem Projekt des Deutschen  Zentrums für Infektionsforschung  (DZIF) tat sich Beckers  Marburger Arbeitsgruppe  mit Zellbiologen und Biochemikern  aus Dänemark und Irland  zusammen, um diese Forschungslücke  zu schließen.  Bisher wurde erst ein auch  beim Menschen einsetzbarer  Präventiv-Impfstoff entwickelt,  der verhindert, dass sich Angehörige  oder Pfleger von Ebola-Erkrankten bei ihnen anstecken  können. 
Die jetzt vorgelegte Studie  könnte nach Ansicht von Becker  aber in Kombination mit  weiteren geplanten Studien erfolgversprechende  neue Möglichkeiten  eröffnen, um Ebolaerkrankte  effektiv zu behandeln.  Neues Verfahren  der Bildgebung  „Das kann ein wichtiger Schritt  auf dem Weg zur Entwicklung  eines Heilmittels sein“, meinte  der Marburger Virologe im Gespräch  mit der OP. Jedoch könne  es noch bis zu zehn Jahre  dauern, bis dieses marktreif sei.  Weil Viren im Gegensatz zu  den Zellen von Menschen oder  Tieren nur über sehr wenige  Proteine verfügen, benötigen sie  die Hilfe von Proteinen der von  ihnen okkupierten Zellen, die  sie sich mit einigen Tricks auch  zu eigen machen. Das genauere  Verständnis der Interaktion an  der Schnittstelle von Viren und  Zellen stellt einen wichtigen  Ansatzpunkt für die mögliche  Medikamententwicklung dar. 
Im Mittelpunkt des Interesses  der Forscher aus Marburg, Dänemark  und Irland stand das  vireneigene Protein VP30. „Es  nimmt eine Schlüsselstellung in  der Vermehrung von Ebolaviren  ein“ erläutert Becker. Es fördere  entweder die Vermehrung des  Virenerbguts oder sorge dafür,  dass die Genprodukte in Proteine  übersetzt werden. 
Das Umschalten von der einen  Funktion auf die andere erfolge,  indem sich chemische Anhängsel  – in diesem Fall Phosphatgruppen  – an bestimmte Stellen  von VP30 anheften.
Becker und sein Team fanden  heraus, dass ein Enzym der Zelle  durch das Virus „gekidnappt“  wird. Man könnte das auch eine  Zwangsverheiratung nennen,  bei der sich ein weiteres Virusprotein  – das Nukleoprotein NP  – gewissermaßen als Kuppler  beteilige, erklärt Becker. 
Und das funktioniert so: Das  Nukleoprotein verkuppelt die  Phosphatgruppen der Zelle und  das Zielmolekül VP30, indem es  die beiden in räumlicher Nähe  zueinander platziert – wie einen  Tischherrn zu seiner Tischdame.  Für die zwei Partner gibt  es Kontaktstellen, die einander  benachbart liegen. Beide Partner  passen zu ihrer Kontaktstelle  auf dem Nukleoprotein wie  ein Stecker zur Steckdose. 
Mit dem Wissen um die Rolle  des „Kupplerproteins“ trickste  das Forschungsteam dann im  Labor das Virus aus. 
Mit Hilfe des Fachwissens von  Bioinformatikern verwendeten  die Forscher eine erprobte Methode  der Molekularbiologie  und erzeugten künstlich einen  molekularen Doppelgänger der  Kontaktstellen auf dem „Kuppler-Protein“, der das Andocken  des zellulären Enzyms verhinderte. 
Dieser „Doppelgänger“ sollte  in Ebolavirus-infizierte Zellen  eingebracht werden, um die  schädliche Interaktion zwischen  Zelle und Virus zu verhindern –  und tatsächlich vermehrte sich  das Virus eindeutig schlechter.  „Unsere Befunde zeigen,  dass der künstlich hergestellte  Hemmstoff die Infektion durch  das Ebolavirus unterdrückt“,  erläutert Beckers Mitarbeiterin  Dr. Nadine Biedenkopf. Damit  ein marktreifes Heilmittel entwickelt  werden kann, müssen  die jetzt noch auftretenden Nebenwirkungen  des Proteinaustauschs  ausgeschlossen werden. 
Denn der künstlich hergestellte  Hemmstoff hemmt neben der  Vermehrung des Virenerbguts  auch andere wichtige Prozesse  in der Zelle. Jetzt ist die Zusammenarbeit  der Virologen mit  Bioinformatikern und Spezialisten  aus der Medizinchemie gefragt. 
Um neue Hemmstoffe gegen  das Ebolavirus testen zu können,  hat Beckers Arbeitsgruppe  außerdem ein Bildgebungsverfahren  etabliert, mit dem sich  Bewegungen virenähnlicher  Partikel durch lebende Zellen  detailgenau verfolgen lassen.  „Auch hiermit soll die Schnittstelle  zwischen Virus und Zelle  auf mögliche Ziele für antivirale  Wirkstoffe untersucht werden“,  erläutert Becker. 


„Nicht erst dann reagieren, wenn es brennt“

Zur Ebola-Forschungsgruppe an der Uni Marburg gehören rund 20 Wissenschaftler in der Virologie.

Für die Forschungsarbeiten zum Ebolavirus haben Professor Stephan Becker und sein Team in den vergangenen Jahren umfassendes Know-how über die hochgefährlichen Viren zusammengetragen.

Marburg.
Becker leitet das Institut für Virologie der Philipps- Universität. Das Marburger Institut verfügt über eines der Labore mit dem höchsten Sicherheitsstandard in Europa, das für Studien an lebensgefährlichen Erregern wie Ebola- und Marburg-Virus die besten Voraussetzungen bietet.
Seit dem Ausbruch der Seuche in drei westafrikanischen Staaten stand die Ebola-Forschung im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, nachdem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgrund der Epidemie mit hunderten von Toten den internationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen hatte.
„Es war die größte bekannte Ebolavirus-Epidemie und sie endete in Westafrikas erst im Jahr 2016, nachdem sie mehr als 11 000 Todesopfer gefordert hatte“, sagt der Marburger Virologe. Dass die Epidemie eingedämmt werden konnte, daran war er mit seinem Team ebenfalls beteiligt.
So war nach einer beispiellosen gemeinsamen Kraftanstrengung von Wissenschaftlern, Medizin und den Gesundheitsbehörden ein ursprünglich an der Uni Marburg entwickelter Ebola-Impfstoff im Schnellverfahren zur Marktreife gebracht worden. Becker setzte sich zusammen mit Kooperationspartnern aus Hamburg und Berlin vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung maßgeblich für ein schnelles Testverfahren ein. So konnte der bis dato nur in Tierexperimenten erprobte potenzielle Impfstoff schließlich einsatzfähig gemacht werden. Die Epidemie habe auch die Arbeit seines Forscherteams entscheidend verändert, sagt Becker. „Wir legen jetzt einen stärkeren Schwerpunkt auf die angewandte Forschung.“ Die werde neben der virologischen Grundlagenforschung immer wichtiger. Es gelte, für den Fall weiterer Ebola-Epidemien möglichst gut gerüstet zu sein. Eine Lehre aus der fieberhaften Suche nach einem Impfstoff sei es auch, dass man künftig „nicht erst dann reagieren“ wolle, „wenn es brennt“, fasst der Marburger Virologe ein Fazit von Forschern aus der ganzen Welt zusammen. So sei es eines der Ziele der Ebola-Forschung, noch bessere und effektivere Impfstoffe oder sogar Heilmittel zu entwickeln. Allein an der Uni Marburg gehören zur AG von Becker, die sich wissenschaftlich mit dem Ebolavirus und dem verwandten Marburg-Virus befasst, rund 20 Forscher. Wie funktionieren die Viren? Warum machen sie krank? Das sind zwei Fragen, die im Fokus stehen. Gefördert werden die Forschungsarbeiten auch durch den Marburger Sonderforschungsbereich 1021 der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Quelle: Oberhessische Presse