So soll es Viren an den Kragen gehen

Attacke auf die Lunge: 150 Top-Forscher haben sich über aktuelle Forschungsergebnisse ausgetauscht.

Neue Impf- und Therapiestrategien gegen Grippe standen im Fokus einer internationalen Virologen-Tagung in Marburg

Marburg.
Mit der alljährlichen Grippe ist nicht zu spaßen: Allein die Grippewelle des vergangenen Winters forderte in Deutschland mehr als 1500 Menschenleben. Das berichtete der Marburger Virologe Professor Stephan Becker auf einer Tagung, die sich speziell den Viren als Erreger und den resultierenden Lungeninfektionen widmete. In einem typischen Grippewinter müssen hierzulande im Schnitt 70 Patienten pro Woche auf Intensivstationen aufgenommen werden, ergänzt Susanne Herold, Lungenspezialistin aus Gießen.
Viren sind – im Unterschied zu Bakterien – keine Lebewesen, sondern Partikel, die sich nur vermehren können, indem sie die Wirtsorganismen infizieren. Im Fall der Grippe ist das der Mensch. Auch Ebola-Fieber, die Immunschwächekrankheit Aids, die Leberinfektion Hepatitis werden durch Viren ausgelöst. Die Übertragungswege sind dabei verschieden – über die Luft bei der Grippe, Geschlechtsverkehr bei HIV –, doch immer sind Schleimhäute als menschliches Kontaktgewebe involviert.
Und genau diese Kontaktflächen standen im Fokus der dreitägigen Konferenz, die Stephan Becker und Herold in dieser Woche ausrichteten. Im Sonderforschungsbereich „RNA Viren: Stoffwechsel, Wirtsreaktion, Erkrankung“ schauen sich Forscher der Universitäten Marburg und Gießen und des Paul- Ehrlich-Instituts in Langen die molekularen und mikroskopischen Mechanismen der Virenattacke an. Und in einem klinischen Verbund beobachten mittelhessische Forscher am Beispiel der Lunge und ihrer Schleimhäute, wie die Erkrankungswege dort verlaufen. Sie untersuchen, welche therapeutischen Strategien bei viralen Atemwegserkrankungen helfen. Herold will insbesondere Heilungsprozesse nach Virusinfektionen der Lunge besser verstehen: „Bislang verstehen wir nur in Ansätzen, wie Viren schwere Schädigungen im Organismus hervorrufen und welche Mechanismen schon während der Erkrankung die Regeneration des Gewebes einleiten. Die Erforschung dieser Prozesse ist notwendig, um die Heilungschancen zu vergrößern“.

Wissenschaftler mit neuen Forschungs-Ansätzen
150 internationale Top-Forscher wie etwa Kanta Subbarao aus Australien berichteten über die Impfstoffentwicklung gegen das Grippevirus und darüber, warum jedes Jahr ein neuer Grippe-Impfstoff entwickelt werden muss. Das Virus ist nämlich hochvariabel und ändert in bestimmten Regionen seiner Oberflächenproteine in Form und Aufbau. Die alten Impfstoffe sind da nicht mehr wirksam. Neue müssen alljährlich kreiert werden. Hinzu kommt noch, dass Grippeviren verschiedener Typen ihre Erbsubstanz austauschen können. Brisant wird das, wenn sich neue Viren aus menschlichen und tierischen Spezies kombinieren – Stichwort H1N1 (Schweinegrippe) oder H5N1 (Vogelgrippe). Ob sich dann eine globale Epidemie (Pandemie) entwickelt, ist dann nur schwer abzuschätzen. Alles hängt davon ab, wie leicht und schnell die Erreger dann von Mensch zu Mensch übertragen werden können. Große Hoffnung ist, dass es in Zukunft eine universale Grippeimpfung geben wird, erklärt Subbarao, die in Melbourne an einem der weltweit fünf Referenzzentren für Grippeviren der Weltgesundheitsorganisation (WHO) arbeitet. „Viele Forscher sind da skeptisch. Ich bin aber optimistisch“, sagt Subbarao.
Oder es kommt ein ganz anderes Konzept zum Zuge. Einen großen Wurf sieht der Mediziner James Crowe von der Vanderbilt- Universität (USA) in der Entwicklung sogenannter monoklonaler Antikörper. Das Prinzip ist simpel: Crowe fahndet gewissermaßen weltweit nach Überlebenden von Vireninfektionen, sei es Grippe, Ebola, Marburg Virus oder andere Erreger. Wieso haben diese Menschen überlebt? Das Immunsystem muss einen Abwehrmechanismus entwickelt haben. Und den sucht Crowe im Blut der genesenen Patienten. Im Zentrum stehen die weißen Blutkörperchen, die Antikörper gegen die Erreger aufweisen. Antikörper markieren die eindringenden Viren für die zelleigene Müllabfuhr. Crowes Strategie sieht nun so aus, dass er diese Antikörper gegen Grippe, Ebola und so weiter aus dem Blut isoliert, reinigt und künstlich vervielfältigt. Diese dann produzierten und sogenannten monoklonalen Antikörper würden dann als Medikament gegen die Erkrankung eingesetzt. Das funktioniert, wie Crowe an Fallbeispielen erläuterte. Ist aber sehr teuer. Therapiekosten belaufen sich noch auf 10 000 Dollar pro Medikamentendosis. Durch eine optimierte Produktion ließen sich die Kosten in Zukunft aber auf unter 20 Dollar drücken, war sich Crowe sicher.
Doch gemach. Von diesen Experimenten bis zum breiten klinischen Einsatz ist es noch weit, erläutert der Marburger Virologe und emeritierte Professor Hans-Dieter Klenk. Beide Ansätze hätten ihre Berechtigung: Die Impfung, die vor einer Erkrankung schützt, und das Medikament, das betroffenen Patienten hilft.

Quelle: Oberhessische Presse